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Relevante Merkmale der deutschen Vokale




Das deutsche Vokalsystem ist kompliziert. Es besitzt 15 bis 19 Vokalphoneme, darunter 15–16 Monophthonge und 3 Diphthonge (die Differenz ergibt sich aus unterschiedlicher Bewertung einzelner Laute durch verschiedene Phonologen).

Unter M o n o p h t h o n g e n versteht man einheitliche Laute, bei deren Aussprache die Sprechorgane ihre Lage nicht verändern. D i p h t h o n g e sind dagegen Gleitlaute: Bei ihrer Produktion gleiten die Sprechorgane aus einer Lage in die andere.

Das gesamte deutsche Vokalinventar (Monophthonge und Diphthonge) kann nach 6 phonologischen Merkmalen zusammengefasst werden:

Ø Die Stabilität der Sprechorgane trennt die Monophthonge von den Diphthongen.

Für die Systematisierung der Monophthonge braucht man fünf weitere Merkmale:

Ø die Quantität – Differenzierung der Vokale nach der Dauer;

Ø die Qualität – Grundlage für die offenen und geschlossenen Vokale;

Ø die Labialisierung – Unterschied zwischen gerundeten und nicht gerundeten Vokalen;

Ø die Zungenreihe – Berücksichtigung der horizontalen Bewegung der Zunge;

Ø die Zungenhebung – die vertikale Bewegung des Zungenkörpers.

 
 

Wenn man diese Merkmale nach ihrem Wert für den Phonemgehalt ordnet, bekommt man die folgende Struktur (s. Abb. 3, nach G. Povilaitis):

 

In dieser Reihenfolge schwinden nämlich die Merkmale des Vokals bei der Beschleunigung des Tempos.

2.5. Systematisierungsmöglichkeiten der deutschen Vokale

2.5.1. Das Vokalviereck

 
 

Das älteste und einfachste Vokalsystem der deutschen Vokale ist das V o k a l -
v i e r e c k (s. Abb. 4), in dem alle Monophthonge nach zwei Merkmalen geordnet sind: nach der Zungenreihe und Zungenhebung.

 

In diesem klassischen Schema nehmen 16 deutsche Monophthonge folgende Lage ein (s. Abb. 5):

hinten
zentral
vorn
tief
mittelhoch
hoch

Abb. 5. Matrix der deutschen Vokalphoneme nach T.A. Hall

 

Dieses System hat seine Vor- und Nachteile. Es ist einfach, übersichtlich, erfasst aber nur wenige Merkmale. Das ist ein vereinfachtes, recht grobes System, deshalb versuchten viele deutsche Phonologen es zu präzisieren. So sind, z.B., die Vokalvierecke von G. Meinhold (Abb. 6) oder K. Kohler (Abb. 7, S. 22). Das Viereck von Prof. G. Meinhold diferenziert genauer die Zungenhebungen (fünf Stufen statt üblicher drei), zeigt unterschiedliche Reihen für die /a/-Phoneme (s. Abb. 6). Das Viereck vom Prof. K. Kohler widerspiegelt Unterschiede in der Lage der hohen Vokale [i:] und [u:], zählt zu den Vokalphonemen auch das reduzierte [ə] und das vokalisierte [ɐ] (s. Abb. 7). Die beiden Wissenschaftler betonen auch, dass die kurzen Vokale etwas weiter im vorderen Mundraum gebildet werden als die entsprechenden langen.

 

Abb. 6. Deutsches Vokalviereck nach G. Meinhold

Abb. 7. Viereck der deutschen Vokale nach K.Kohler

 

 

2.5.2. Systematisierung der Vokalphoneme nach relevanten Merkmalen

Wenn man alle fünf relevanten Merkmale der Vokale berücksichtigt, kann man die deutschen Monophthonge in einer Tabelle zusammenfassen (s. Tab. 2.1).

Zu den Vorteilen dieser Tabelle gehört die volle Erfassung aller relevanten Merkmale jedes Vokals. Aus der Tabelle ist es auch ersichtlich, dass sich jedes Vokalphonem von jedem anderen wenigstens durch ein wichtiges Merkmal unterscheidet.

 

T a b e l l e 2.1. Deutsche Vokalphoneme, geordnet nach ihren relevanten Merkmalen

 

Merkmal Gruppe V o k a l p h o n e m e
  Quantität   a: a e: e e: i: y: y ø: œ u: ʊ o: ɔ ə
lang +   +   + +   +   +   +   +    
kurz   +   +     +   +   +   +   + +
Qualität geschlos.         + +   +   +   +   +    
offen + + + +     +   +   +   +   + +
Labiali-sierung labial.               + + + + + + + +  
nicht lab. + + + + + + +                 +
Zungen-reihe   vordere   + + + + + + + + + +          
mittlere                               +
hintere +                     + + + +  
Zungen-hebung hohe           + + + +     + +      
mittlere     + + +         + +     + + +
tiefe + +                            

 

Der Nachteil der tabellarischen Darstellung der Vokalphoneme ist jedoch die Umständlichkeitdes Systems: Die Tabelle enthält 12 Klassen, sie ist groß.

 

2.5.3. Phonologische Oppositionen der deutschen Vokale

Die Suche nach einer vollen und logischen Darstellungsweise der Phonemsysteme brachte N. Trubetzkoy zum Begriff der O p p o s i t i o n, d.h. des Kontrasts, des Gegensatzes. Die Minimalpaare, die einen bedeutungsdifferenzierenden Kontrast aufweisen, nannte N. Trubetzkoy phonologische Oppositionen: [mast] – [mist]; [za:t] – [zat]; [las] – [nas]. Er entwickelte eine ganze Lehre über die Oppositionen, systematisierte sie nach verschiedenen Merkmalen.

Bei der Behandlung der Oppositionen geht man streng logisch vor. Man geht davon aus, dass jede Opposition zwei Glieder hat: eines mit einem Merkmal (es heißt markiert, merkmalstragend) und das andere ohne Merkmal (unmarkiert, merkmallos). So ist, z.B. in der Opposition [za:t] – [zat] das erste Glied markiert (+), denn der Vokal trägt das Merkmal „Länge“. Das zweite [a] ist unmarkiert (-), denn dem kurzen Vokal fehlt dieses Merkmal. In der Opposition [’e:ə] – [’e:ə] ist nach dem Merkmal „Geschlossenheit“ das zweite Glied markiert, weil das [e:] geschlossen ist. Das erste Glied bleibt unmarkiert, weil ihm die Geschlossenheit (Spannung) fehlt. Solche Oppositionen werden zum Systematisieren von Phonemen gebraucht.

Für die deutschen Vokale wurden von N. Trubetzkoy 7 Oppositionen aufgestellt, nach denen er alle Vokalphoneme zusammengefasst hat (s. Tab. 2.2).

 

T a b e l l e 2.2. Systematisierung der deutschen Vokale nach

phonologischen Oppositionen von N. Trubetzkoy

 

Phonologi-sche Merkmale Oppositionen V o k a l p h o n e m e
a: e y: u: ə
Quantität lang/nicht lang + - + + - -
Qualität gespannt/nicht gesp. - - + + - -
Labialisierung rund/nicht rund - - + + - -
Zungenreihe vorn/nicht vorn - + + - + -
hinten/nicht hinten + - - + - -
Zungenhebung hoch/nicht hoch - - + + + -
tief/nicht tief + - - - - -

 

Diese Tabelle ist viel einfacher und übersichtlicher als die Tabelle 2.1. Sie widerspiegelt jedoch nicht alle Eigenschaften der Vokale, sondern nur ihre „starken Seiten“, d.h. nur diejenigen, die sie von den anderen Gliedern im System unterscheiden. Jedes Vokalphonem hat darin sein eigenes „Gesicht“.

T. Allan Hall hat dieses System dadurch vereinfacht, dass er auf die Opposition „vorn/nicht vorn“ verzichtete. In seinem System verwendet er zum Merkmal „Zungenreihe“ nur die Gegenüberstellung „hinten/nicht hinten“ und zählt alle Vokale, die nicht im vorderen Mundraum gebildet werden, zu den unmarkierten. Infolgedessen hat sein System nur sechs Oppositionen, es ist noch kürzer und übersichtlicher.

 

2.5.4. Systematisierung der Vokale nach artikulatorischen und akustischen

Merkmalen

Amerikanische Phonologen R. Jakobson, M. Halle und C.G.M. Fant haben Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts das phonologische System von N. Trubetzkoy ergänzt. Sie haben versucht, die artikulatorischen Merkmale von N. Trubetzkoy durch ihre akustischen Äquivalente zu vervollständigen, die sie inzwischen experimentell gewonnen haben. So haben sie ein Verzeichnis von 9 Sonoritäts- und 3 Tönungsmerkmalen zur phonologischen Beschreibung aller Sprachen der Welt angeboten. Diese Merkmale sehen so aus (nach G. Meinhold, S. 45-46):

 

T a b e l l e 2.3. Akustisch-artikulatorische Eigenschaften der Phoneme

 

Sonoritätsmerk-male Akustische Artikulatorische
vokalisch (+) / nicht vokalisch (-) Vorhandensein (+) od. Nichtvorhandensein (-) einer scharf umrissenen Formantenstruktur Stimmproduktion mit freiem Austritt des Schalls aus der Mundhöhle (+)
konsonan- tisch (+) / nicht konsonan-tisch (-) Geringe (+) bzw. hohe (-) Schallstärke Stimmproduktion mit gehemmtem Austritt des Schalls aus der Mund- höhle (+)
kompakt (+) / diffus (-) Größere (+) bzw. geringere (-) Energiekonzentration in einem schmalen Gebiet des Spektrums Großes (+) od. kleines (-) Verhältnis des Ansatzraums vor dem Hindernis zum Raum hinter dem Hindernis
gespannt (+) / ungespannt (-) Mehr (+) oder weniger (-) scharf abgegrenzte Resonanzbereiche im Spektrum mit größerer (+) oder kleinerer (-) Schallstärke Größeres (+) od. kleine- res (-) Abweichen des Ansatzraumes od. des artikulierenden Organs von der Ruhestellung
stimmhaft (+) / stimmlos (-) Vorhandensein (+) od. Fehlen (+) periodischer Schwingungen Periodische Schwingungen der Stimmlippen (+) oder ihr Fehlen (-)
nasaliert (+) / nicht nasaliert (-) Ausbreitung der Intensität über breitere Frequenz-bereiche und spezifische Formantenveränderungen (+) Beteiligung des Nasenraums an der Artikulation (+)
abrupt (+) / kontinuierlich (-) Plötzliche Schalländerung oder abrupte Stille (+), z.B. bei Verschluss) Rasches Ein- und Aussetzen der Schallquelle durch Öffnung und Schließung des Ansatzraumes (+)
scharf (+) / mild (-) Größere (+) od. geringere (-) Geräuschintensität Größere (+) / kleinere (-) Spannung der Sprech-muskulatur

Fortsetzung der Tab. 2.3.

gehemmt (+) / ungehemmt (-) Starke Intensitätsentwicklung in kurzer Zeit (+) bzw. geringe Intensitätsverände-rung in längerer Zeit (-) Zusammenpressen oder Verschluss der Stimmlippen (+) od. nicht (-)
Tönungsmerkmale
dunkel (+) / hell (-) Intensitätskonzentration in dem tieferen (+) od. höheren Bereich (-) Labiale sowie postpalatalvelare (+) oder dentale, alveolare, präpalatale Position der Artikulationsstelle (-)
tief (+) / nicht tief (-) Schwächung höherer Frequenzen (+) oder Fehlen dieses Merkmals (-) Verschiedene Querschnitte der Verengung am Ein- und Ausgang der Mundhöhle
spitz (+) / nicht spitz (-) Erhöhung od. Verstärkung höherer Frequenzen (+) Verschiedene Minimalquerschnitte der Verengung am pharyngalen Ausgang der Mundhöhle

 

Zwar stellte sich mit der Zeit heraus, dass diese Merkmale nicht universell anwendbar sind, dass man für alle Sprachen der Welt mehr Merkmale braucht

(E. Ternes rechnet mit etwa 30), doch das war ein kühner Versuch, die artikulatorische Seite der Sprechlaute mit ihren akustischen, physikalischen Eigenschaften zu verbinden.






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