Phonetik und Phonologie – der unterschiedliche Blick

Die Phonologie als Teildisziplin der Linguistik ist Ende der Zwanzigerjahre als Gegenbewebung zur damals tonangebenden Experimentalphonetik entstanden. Ihre "Vater" waren N.Trubetzkoy und der strukturalistisch orientierte Cercle Linguistique de Prague. Prager Phonologie der Oppositionen(Hauptwerk: Trubetzkoy 1938) wurde nach dem 2. Weltkrieg in den USA zur Phonologie der distinktiven Merkmale weiterentwickelt (Jakobson, Fant, Halle 1952).

Im Modell der Generativen Grammatik bekam die Phonologie den Status einer Komponente, deren Regelapparat die zugrundeliegenden Formen in phonetische Oberflächenstrukturen überführt.

Man nennt folgende Zweige der Phonologie:

- Lexikalische Phonologie;

- Natürliche Phonologie;

- Natürliche Generative Phonologie;

- Autosegmentale Phonologie;

- Metrische Phonologie;

- Silbenphonologie.

Phonetik und Phonologie befassen sich mit dem selben Gegenstand - der Lautsprache -, aber unter zwei verschiedenen Blickwinkeln: Wenn es der Phonetik um die Klarung der Frage geht, wie Sprachlaute gebildet und perziepirt werden und wie sie akustisch beschaffen sind, so betrachtet die Phonologie den Sprachlaut in seiner Eigenschaft als Element des Lautsystems. Was an ihm interresiert, ist nicht seine materielle Beschaffenheit, sondern seine Rolle, die er spielt, wenn es um die Unterscheidung von bedeutungstragenden Einheiten geht.

So konnte also ein Phonetiker die Laute in den Wörtern “küssen”, “Kuss”, “müssen”, “miss” daraufhin untersuchen, wo die Artikulationsstelle für [k] vor [u] und [y] genau liegt. Er wurde finden, dass der Kontakt zwischen Zunge und Gaumen für [ky] weiter vorn liegt als für [ku]. Oder er konnte die Dauer von [s] messen und feststellen, dass [s] im Auslaut länger ist als im Inlaut. Diese Befunde waren Bausteine für ein Modell, das Produktion und Lautsprache zu erklären hatte.

Die Phonologin wurde versuchen, anhand dieses Materials etwas über das System derjenigen lautlichen Einheiten herauszufinden, die für die Unterscheidung von Bedeutungen relevant sind. Sie wurde feststellen, dass sich in den Wortpaaren “küssen” - “müssen” bzw. “Kuss” -”muss" die Bedeutung dann ändert, wenn [k] und [m] vertauscht werden. Für diese Bedeutungsunterscheidung ist es irrelevant, wo die Artikulationsstelle des Plosivs genau liegt oder wie lange etwa der Frikativ genau dauert: Weder gibt es im Standarddeutschen Lexeme, die sich einzig durch den Artikulationsort eines [k] unterscheiden, noch haben Konsonanten Quantität. Auch wenn jemand den mittleren Konsonanten in Wörtern wie “müssen”, “Sommer”, “strafen”, “Seite” doppelt so lang spricht, als es im Standartdeutschen normal ist, wird er trotzdem verstanden.

Die meisten Deutschschweizerinnen “längen” Konsonanten in dieser Stellung, wenn sie Standartdeutsch sprechen, ohne deshalb unverständlich zu sein. Die normale Sprachbenutzern wird auch gar nicht merken, dass hier ein Verstoß gegen die phonetische Norm des Standarddeutschen vorliegt, sondern höchstens finden, der oder die Betreffende habe einen befremdlichen Akzent.

Anders wäre es hingegen, wenn jemand das a in “strafen” kurz sprechen würde, denn dann wurde das Wort u.U. Als “straffen” verstanden: Im Gegensatz zu den Konsonanten haben Vokale im Standarddeutschen sehr wohl Quantität, d.h. Es gibt Lexempaare wie “strafen” und “straffen”, die sich einzig in der Dauer eines Vokals unterscheiden.

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