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Silbe aus phonetischer und phonologischer Sicht




Der sprachliche Status der Silbe wird in der Linguistik bis jetzt diskutiert. Niemand leugnet dabei, dass die Silbe eine phonetische Einheit ist: Sie wird artikuliert und wahrgenommen, sie hat messbare akustische Eigenschaften, ist folglich eine Realität der Sprache. Man kann jedes Wort in Silben trennen. Das tut jeder Sprachträger mehr oder weniger sicher. Der Silbe wird jedoch von manchen Theoretikern der phonologische Status genommen, weil sie die Wortbedeutungennichtunterscheidet.

Das stimmt: In den europäischen Sprachen wirkt die Silbe nicht wortdifferenzierend. Doch das bezieht sich nur auf Lautsprachen, nicht auf die Sprachen der Welt insgesamt. In der Welt gibt es nicht wenige große Sprachen (z.B. Chinesisch), in denen die Silben die kleinsten phonetischen Einheiten sind und die Wortbedeutungen unterscheiden. Das sind so genannte syllabische Sprachen. Die syllabischen Sprachen kennen keine Laute. Die Wörter bestehen dort aus Silben, die nicht weiter getrennt werden können. Dort besitzen die Silben die wichtigste phonologische Eigenschaft – die relevante. Deshalb müssen sie zu den phonologischen Einheiten der Sprache gezählt werden. Die Phonologen haben dafür auch andere Argumente, z.B.:

1. Silbenmodelle bestehen, genauso wie Phoneme, nur abstrakt im Bewusstsein der Sprachträger, als mögliche Kombinationen der Laute in jeder Sprache. Erst beim Sprechen verwandeln sich die abstrakten Modelle in konkrete Sprechsegmente, genauso wie aus Phonemen beim Sprechen die Laute entstehen.

2. Die Zahl der Silbenmodelle ist in jeder Sprache begrenzt, genauso wie die Anzahl der Phoneme. Folglich muss die Silbe als eine phonologische Größe betrachtet werden. Doch diejenigen Phonologen, denen es auf die Bedeutungsunterscheidung ankommt, weisen diese Argumente vom Tisch.

Wir sehen: Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Silben zur Phonologie gehören oder nur phonetische Gebilde sind, gibt es nicht. Es ist wohl so, dass die Silbe im Prinzip eine phonologische Einheit ist, doch sie zeigt ihr phonologisches Potential nicht in allen Sprachen. Da Deutsch zu den Laut sprachen gehört, wirkt hier die Silbe nicht wortunterscheidend. Sie dient als Baustein für bedeutungstragende Elemente der Sprache – Morpheme und Wörter. In den syllabischen Sprachen ist sie jedoch eine richtige phonologische Einheit.

 

Silbentypen

Die Sprachen der Welt kennen nur zwei Silbentypen:

Ø o f f e n e Silben, die mit einem Vokal enden (da, Schu-le, To-re) und

Ø g e s c h l o s s e n e Silben, die mit einem oder mehreren Konsonanten ausgehen: das, uns, Obst usw.

Neben diesen Grundtypen unterscheidet man die so genannten

Ø p o s i t i o n e l l g e s c h l o s s e n e n Silben, d.h. an sich offene Strukturen, die aber in einigen Positionen, bei der Formveränderung des Wortes, durch die Konsonanten geschlossen werden: g e-hen, aber: du geh st – er geh t; schla -fen, aber: du schlä fst – er schlä ft; -ren, aber: die Tü r. Positionell geschlossene Silben können bei der Formveränderung geöffnet werden: du hebst – he -ben; Meer – Mee -re; er steht – ste -hen usw., deshalb sind die Vokale darin lang.

Der Unterschied zwischen den geschlossenen und positionell geschlossenen Silben ist sehr wichtig für das Deutsche, denn der Silbentyp regelt im Deutschen die Vokaldauer: In offenen und positionell geschlossenen Silben werden die Vokale lang gesprochen, während sie in richtig geschlossenenSilben kurz sind: er geht [ge:t], schläft [∫lε:ft], trägt [trε:kt], aber: du schaffst, bist, sprichst.

Die offenen und geschlossenen Silben sind in den Sprachen der Welt unterschiedlich häufig vertreten. Die Tabelle 5.1. zeigt, dass Deutsch in diesem Punkt unter vielen Sprachen eine Sonderposition einnimmt: Während in anderen Sprachen offene Silben über die Hälfte aller Silben ausmachen, beträgt ihre Anzahl im Deutschen kaum ein Drittel.

 






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